- Olmeken und die Anfänge Mesoamerikas
- Olmeken und die Anfänge MesoamerikasDen Azteken war das Land an der schwül-heißen Golfküste im Südosten Mexikos nur als Herkunftsort exotischer Rohstoffe und Tributleistungen bekannt. Seine Bewohner nannten sie »Olmeken« (= Leute aus dem Gummiland). Zweieinhalbtausend Jahre zuvor aber war dieses Gebiet Zentrum der ersten Hochkultur Mesoamerikas gewesen, die man, da sie sich im Verlauf der formativen Kulturepoche entwickelte, auch als »vorklassisch« charakterisiert.Ab dem 12. Jahrhundert v. Chr. begann der steile Aufstieg dieser Kultur, deren Ursprünge bis heute im Dunkeln liegen. San Lorenzo, das älteste olmekische Zentrum, und sein Nachfolger La Venta hatten als formative Siedlungen weit zurückreichende lokale Wurzeln. Aber für den exquisiten Kunststil, der die Hochkultur von Anfang an auszeichnete, kennt man bis heute keine unmittelbaren Vorbilder. Vielleicht liegen sie unter der Vulkanasche der Tuxtla-Berge im Herzen des Olmeken-Gebiets verborgen. Mit den »Olmeken« der Azteken hatten die Leute von San Lorenzo, La Venta und Tres Zapotes (ein Zentrum, das La Venta bis in die späte formative Phase überlebte) nichts zu tun. Viele Bezeichnungen aus dem zeremoniellen Leben der Eliten in verschiedenen mesoamerikanischen Kulturen sind Lehnwörter aus der später kulturell relativ unbedeutenden Mixe-Zoque-Sprachfamilie. Dies lässt vermuten, dass die Sprache der alten Olmeken dieser Sprachfamilie angehört hat und diese Begriffe aus der olmekischen Sprache stammen.Die Leistungen der Olmeken sind spektakulär. Sie bearbeiteten ohne Metallwerkzeuge vorzugsweise die härtesten verfügbaren Steine, Grünstein und Basalt; ohne Lasttiere oder Radfahrzeuge brachten sie Steinblöcke mit einem Gewicht von über 40 Tonnen aus den 50 km entfernten Tuxtla-Bergen und meißelten daraus monumentale altarförmige Throne sowie über 2 m hohe Porträtköpfe ihrer Herrscher, deren Mienen auch heute noch Respekt gebieten. Zugleich ähneln die gut gepolsterten Gesichter mit breitlippigen Mündern und heruntergezogenen Mundwinkeln den »Baby Faces« der kindhaften Tonfigürchen, die oft mit Attributen von Gottheiten ausgestattet sind.Unter den als göttlich verehrten Wesen spielte der Jaguar, das größte Raubtier der Region, eine zentrale Rolle. Bei den Olmeken treten neben dem Jaguar selbst auch »Werjaguare« - halb Tier, halb Mensch - auf, die häufig ebenfalls als Babys dagestellt sind und deren Schädel gespalten zu sein scheinen. Man vermutet in diesen Kindern Darstellungen, die die mythische Abkunft der Herrscher - sie diente zur Legitimation ihrer Macht - vom jaguargestaltigen Gott belegen sollten, dessen Paarung mit einer Menschenfrau ebenfalls abgebildet wurde. Größere Funde von Knochen einer Kröte, aus deren Haut ein halluzinogenes Gift gewonnen werden kann, haben zur Vermutung geführt, man habe für Riten auch Drogen verwendet.San Lorenzo und La Venta waren die ersten Zentren mit monumentalen Zeremonialanlagen, die ähnlich den etwas späteren Grabhügeln in Nordamerika noch aus aufgeschütteter Erde bestanden. Über die Bevölkerung, die diese Anlagen errichtete, ist wenig bekannt. Städte gab es noch nicht, und so müssen die Arbeitskräfte wohl aus den umliegenden Dörfern rekrutiert worden sein. Allein die schier unvorstellbaren Transportleistungen dieser Bauern im Dienste der Jaguargottkönige sind ohne Zwang ausübende Macht kaum denkbar. So kann es auch nicht erstaunen, dass sowohl San Lorenzo (um 900 v. Chr.) als auch La Venta (um 400 v. Chr.) von Leuten zerstört wurden, die ihren Hass den Unterdrückern gegenüber dadurch ausdrückten, dass sie die Symbole der Herrschaft zerschlugen und verscharrten.Der scheinbar bizarre Jaguarkult sollte nicht die anderen erkennbaren Leistungen der Olmeken überschatten, die keineswegs auf die Bildhauerei beschränkt waren. An der Wurzel der fast ein Jahrtausend anhaltenden olmekischen Erfolgsgeschichte steht die Kontrolle über ein weit verzweigtes Fernhandelssystem, das vom zentralen Hochtal von Mexiko bis nach Costa Rica reichte. Rohstoffe, wie Obsidian, Grünstein oder Kakao, wurden ganz im Stil klassischer kolonialer Ausbeutung importiert und gegen prestigeträchtige Fertigprodukte eingetauscht.Die größte zivilisatorische Leistung, die man heute den Olmeken zuschreibt, war aber die Erfindung von Schrift und Kalender. Die wenigen erhaltenen Inschriften - vor allem aus der Spätzeit und von den Rändern olmekischen Einflusses - reichen nicht, um die Schrift wirklich entziffern zu können; sie dokumentieren aber bereits hinreichend das Vorhandensein des für Mesoamerika typischen 260-tägigen Zeremonialzyklus, der die Grundlage des Kalenderwesens bildete. Kalender, Schrift und überregionale Verbreitung von Ideen - diesen olmekischen Gaben verdankt Mesoamerika seine Entstehung.Prof. Dr. Christian F. FeestAlcina Franch, José: Die Kunst des alten Amerika. Aus dem Französischen. Freiburg im Breisgau u. a. 21982.Die Indianer. Kulturen und Geschichte, Band 2: Münzel, Mark: Mittel- und Südamerika. Von Yucatán bis Feuerland.München 51992.Lavallée, Danièle und Lumbrerars, Luis Guillermo: Die Andenvölker. Von den frühen Kulturen bis zu den Inka. Aus dem Französischen und Spanischen. München 1986.
Universal-Lexikon. 2012.